Zeitzeugenarchiv der Minsker Geschichtswerkstatt

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Seiler Wolf William

Seiler Wolf William

Gruppe 
Rassistisch Verfolgte (Jude/Jüdin)
Herkunftsland 
Österreich
Geburtsort 
Kopyczinec
Beruf 
Tätigkeit in dem Textilgewerbe
Deportationsdatum 
1942 Mai 6
Unterbringung/Inhaftierung 
Lager Maly Trostinec
Schicksal 
Flucht am 29. Juli 1942 aus Lager Maly Trostinec
Berichtsart 
Familiengeschichte

Leben vor der Deportation

Wolf William Seiler, geb. Dressler, wurde in Kopyczinec als Sohn einer mittelständischen jüdischen Familie geboren (Alfred Seiler: From Hitler's death camps to Stalin's gulags, Warschau 2010, S. 5/6). Seine Eltern bekamen insgesamt 17 Kinder, von denen jedoch nur fünf erwachsen wurden. Noch im Kindesalter verließ er seine Eltern und zog gemeinsam mit seiner 16 Jahre älteren Schwester Anna Dressler nach Wien (Ebenda, S. 6). Dort besuchte er die Schule und arbeitete danach in einer Textilfabrik. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Militärdienst einberufen, um für die Habsburgermonarchie an der Seite der Mittelmächte zu kämpfen. In einem Gefecht wurde er schwer verwundet und infolgedessen ausgemustert, da er aufgrund dieser Verletzung von nun an zu 25% behindert war (Ebenda, S. 5).

Deportation und Maly Trostinec

Das Geschäft von Wolf William Seiler wurde im Jahr des „Anschluss“ Österreichs 1938 enteignet. Vor seiner Deportation engagierte er sich wie auch sein Sohn Alfred und seine Tochter Anna Seiler in einer Wiener zionistischen Gruppe. Am 6. Mai 1942 wurden Wolf William Seiler, seine Frau und seine Kinder alle samt von Wien mit ungefähr weiteren 1000 Wiener Juden nach Maly Trostinec bei Minsk deportiert (Ebenda, S. 36, 49).

In Minsk wurde nach Freiwilligen gefragt, die bereit wären sich an einige Arbeiten zu beteiligen. Wolf William Seiler und seine gesamte Familie, ausgenommen Alfred Seiler, der während der Deportation von ihnen getrennt wurde, meldeten sich freiwillig. Dies war ihr Glück, den sämtliche restlichen Wiener Juden dieses Transportes, abgesehen von ausgewählten Fachkräften, wurden ermordet. Das Lager Maly Trostinec erreichten nur knapp 86 Menschen dieses Transports (Ebenda, S. 69).

Die Quellenlage gibt Hinweise darauf, dass Wolf William Seiler eine führende Rolle in der jüdischen Selbstverwaltung in Maly Trostinec übernahm; denn der Häftling Ludwig Grünberg bezeichnet ihn als den „jüdischen Leiter vom Judenrat“ (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Akte E 1557, Isak Grünberg, S. 2), Karel Šípek bezeichnet einen der Seiler als den Vorsitzenden der jüdischen Österreicher (Jüdisches Museum, Prag) und der Häftling Julie Sebek, die mit den Seilers geflohen war, schreibt in einem Brief 1948, dass sie sich bei ihrer Flucht dem „Lagerführer“ und seiner Familie anschloss (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, Akt 22.583, Julie Sebek). Dies würde unter anderem auch erklären, warum die Seilers, die einzige Familie mit mehr als drei Familienmitgliedern im Lager waren, die ihre Inhaftierung in Maly Trostinec überlebten. Über die genauen Aufgabengebiete des österreichischen „Lagerführers“ können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine belastbaren Aussagen getroffen werden.

Leben nach der Flucht

Am 29. Juli 1944 floh die Familie Seiler gemeinsam mit Julie Sebek, Josef Pollack und seinem Vater aus Maly Trostinec (Alfred Seiler: From Hitler's death camps to Stalin's gulags, Warschau 2010, S. 82). Sie versteckten sich in einem dem Lager nahegelegenem Kornfeld und harrten dort mehrere Tage aus. Russische Kinder versorgten sie gelegentlich mit Nahrungsmitteln, damit die Geflohenen in ihrem Versteck von deutschen Truppen unbemerkt überleben konnten. Nachdem sich die deutschen Truppen aus Minsk zurückgezogen hatten, wurden sie am 4. Juli 1944 aus ihrem Versteck geholt und von der dort ansässigen Bevölkerung begrüßt (Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands, Akt 22.583, Julie Sebek). Danach wurden sie weitere drei Jahre bis zum 28. März 1947 in Karaganda interniert. Nach ihrer Entlassung kehrte Wolf William Seiler und seine Familie am 21. Februar 1948 nach Wien zurück (Alfred Seiler: From Hitler's death camps to Stalin's gulags, Warschau 2010, S. 92/118).

Erstellt von Nazim Diehl und Aliaksandr Dalhouski