Weg in die Unsterblichkeit. Schwestern Marta und Ewa aus dem Kloster des Niepokalanki-Ordens in Slonim
Darja Lischik, Jelisaweta Panaschtschik, Walerija Gerbst, Klassen 10 und 11, Oberschule Nr. 2, Slonim
Wissenschaftliche Betreuerin: Jelena Lapikowa, Geschichtslehrerin, Oberschule Nr. 2, Slonim
Nie richtet sich der Völkermord gegen nur ein Volk,
der Völkermord ist immer gegen alle.
Michail Gefter
Unsere Stadt Slonim war vor dem Krieg ein blühender, belebter Ort. Während der Besatzung wurden aber über 80 Prozent der Bewohner ermordet, die einen, weil sie Juden waren, die anderen, weil sie Partisanen halfen und Juden versteckten. Die Namen derer, die in den Jahren des Krieges ums Leben kamen, dürfen nicht vergessen werden. Wir beschlossen unsere Studie den Menschen zu widmen, deren Namen heute nur noch wenige kennen.
In unserer Schule besteht ein Museum, das nach dem Aufklärer Kusma Gnedasch und der Funkerin Klara Dawydjuk benannt ist, und die Erinnerung an die Kriegsopfer aufrechterhält. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Museums ist die Ermittlung der Namen der Menschen, die auf dem Berg Petralewitschskaja begraben liegen, wo während der Besatzung Massenerschießungen friedlicher Zivilisten stattgefunden haben. Jetzt sind einige Denkmäler an dieser Stelle aufgestellt, eins davon ist der Gedenkstein für Schwestern Marta und Ewa aus dem Kloster Unbefleckte Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria in der Stadtmitte von Slonim.
Warum hat man ihnen ein Denkmal an der Massenerschießungsstätte gesetzt? Wir suchten nach einer Antwort in der Geschichtschronik „Pamjat“ für den Kreis Slonim [1], fanden da aber keine Informationen, dafür gab man uns in der katholischen Kirche Unbefleckte Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria die Broschüre von Anna Kosyra-Ceśliak „Ich opfere Dir all das im Namen der Liebe“ [1], in der Erinnerungen an Schwestern Marta und Ewa, Auszüge aus dem Tagebuch und Briefe von Schwester Marta gesammelt sind. Seit dem Kriegsende sind viele Jahre vergangen, deswegen ist es uns leider nicht gelungen, lebende Zeugen jener tragischen Ereignisse, die sich in unserer Stadt zugetragen haben, zu finden.
Leben der Schwestern vor dem Krieg
Schwester Marta hieß mit ihrem weltlichen Namen Kazimiera Wołowska (12.10.1879–18.12.1942). In ihrem Tagebuch erinnerte sie sich an ihre Familie wie folgt: „Ich wurde 1879 in Lublin geboren und war die jüngste unter sieben Geschwistern. Mein Vater hieß Józef, hatte einige Güter in der Woiwodschaft Lublin, war … Rechtsanwalt, wie man heute zu sagen pflegt, eine Person des öffentlichen Lebens“ [1, S. 8]. Weiter heißt es: „Meine beiden Eltern waren wohltätige Menschen, sie unterrichteten stets die Armen“ [1, S. 10]. Zu diesem Gefühl der Pflicht gegenüber der Gesellschaft und Menschen erzogen sie auch ihre Kinder. Die Mutter starb, als das Mädchen 13 Jahre alt war. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1899 traf Kazimiera endgültig die Entscheidung, ins Kloster der Niepokalanki-Kongregation (Schwestern der unbefleckten Empfängnis der Heiligen Jungfrau Maria) einzutreten, 1902 legte sie das Ordensgelübde ab und hieß von nun an Schwester Marta. 1909 bis 1939 war sie Vorsteherin mehrerer Klöster und 1939 wurde sie nach Slonim versetzt [1, S. 28–29].
Zu dieser Zeit lebte schon Schwester Ewa, Lehrerin und Ärztin, im Kloster Slonim. Die Frau, deren weltlicher Name Bogumiła Noiszewska war, wurde im Juni 1885 in der Familie des bekannten Augenarztes Kazimierz Noiszewski und Maria Andruszkiewicz geboren. In der Familie gab es elf Kinder. Bogumiłas Großeltern sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits waren nach dem polnischen Aufstand gegen das Zarenreich in den Jahren 1863–1864 Repressalien ausgesetzt und ins russische Tula verbannt worden. Die Mutter des Vaters Aleksandra Noiszewska aus dem Geschlecht Trojanowski prägte maßgeblich die Erziehung des Mädchens. Bogumiła schloss das Gymnasium mit einer Goldmedaille ab und beschloss zum weiteren Medizinstudium nach Sankt Petersburg zu gehen. 1914 erhielt sie das Arztdiplom und war im Ersten Weltkrieg als Ärztin in Lazaretten tätig. Sie legte das Gelübde im Alter von 34 Jahren ab, als sie schon über reiche Lebens- und Berufserfahrungen verfügte [1, S. 35].
Besatzung
Am 26.-27. Juni 1941 marschierten die Deutschen in Slonim ein. Sie belegten das Kloster mit einem Militärkrankenhaus, erlaubten jedoch den Schwestern einen Teil des Gebäudes weiter zu nutzen und empfahlen ihnen den Habit zu tragen, damit alle wussten, mit wem sie zu tun hatten. In dieser Zeit arbeitete Schwester Ewa im Krankenhaus und war die einzige Ärztin in der Stadt, weil die Nazis den jüdischen Ärzten Berufsverbot erteilt hatten.
In den Briefen von Schwester Marta finden wir die Beschreibung des Lebens während der Besatzung: „Zurzeit sind sie [Deutschen] gegen uns sehr aggressiv gestimmt … Immer schwer fällt es, Essen zu beschaffen, und die Familie ist ja groß. Aber Schwester Ewa arbeitet und baut ihre Praxis aus“ [1, S. 50]. Mit dem „Ausbau der Praxis von Schwester Ewa“ wird gemeint, dass sie neben ihrer legalen Tätigkeit als Ärztin auch Juden versorgte und Beziehungen zu den Partisanen unterhielt. Der wahre Sinn der Worte „die Familie ist ja groß“ ist: alle hilfsbedürftigen Menschen.
In einem anderen Brief erzählt Schwester Marta von der Ermordung der jüdischen Bewohner der Stadt Slonim: „Wir erleben hier schreckliche Tage, an denen die Juden getötet werden. An einem einzigen Tag wurden über 9.000 ermordet“ [1, S. 54]. Als echte Christinnen konnten die Schwestern nicht unbeteiligt bleiben und die Menschen im Stich lassen. Aus den Erinnerungen von Iossif Schwerko, die am 26.03.1989 aufgezeichnet wurden, erfahren wir: „Nach den Angaben einer Quelle, die ich heute nicht nennen kann, ist mir bekannt, dass das Kloster, das heißt seine Vorsteherinnen, Juden versteckt und ihnen Dokumente ausgestellt haben. Und das war der Grund für ihre Verhaftung und Erschießung“. Eine Bestätigung der Tatsache, dass die Schwestern den Juden geholfen haben, finden wir in den «Erinnerungen an S. Marta» von Schwester Szczęsława vom Guten Hirten (Eleonora Tuska): „Schwester Ewa half den Juden, versteckte sie im Krankenhaus als Kranke. Viele wurden auf dem Dachboden über dem Gewächshaus oder im Pferdestall untergebracht“ [4, S. 6]. Jelena Ignatjuk, die im Kloster beschäftigt war, schrieb später: „Schwester Ewa fürchtete sich als Ärztin nicht, den jüdischen Bürgern zu helfen, obwohl sie wusste, dass sie sich damit in Lebensgefahr begab. Sie schrieb ihnen Rezepte aus“ [1, S. 55].
Durch eingehende Recherche in den Erinnerungen gelang es uns, die Namen einiger (leider nur weniger) Menschen zu ermitteln, die die Schwestern im Kloster versteckt haben. Bisher konnten wir keine Fotos von ihnen entdecken oder Zeugen finden, die diese Menschen kennen würden, aber wir hoffen, dass unsere weiteren Nachforschungen einmal vom Erfolg gekrönt werden.
So kommt in den Erinnerungen von Antonina Boguslowska und Stefan Rozwadowski derselbe Name „Mädchen Szapsaj“ vor: ein junges Mädchen, das von den Schwestern im Kloster versteckt wurde. Szapsaj war etwa 17 Jahre alt, nach einer Weile soll sie bei einer gewissen Frau Braun, die in Slonim wohnte, Zuflucht gefunden haben [1, S. 54]. Die Frage, wer diese Szapsaj und Frau Braun waren, bleibt bisher offen.
In den Erinnerungen des Priesters Michał Michniak [2, S. 5] und der Schwester Szczęsława [4, S. 7] treffen wir auf den Namen der Zahnärzte Kagan, „die sich bis zum späten Herbst zusammen mit ihrer kleinen Tochter im Kloster versteckt hielten“ und im Dezember 1942, wahrscheinlich am selben Tag wie die Schwestern, auf dem Berg Petralewitschskaja erschossen wurden.
In einer Geschichte Stefan Rozwadowskis, eines Bürgers der Stadt Lublin, der sich während der Besatzung in Slonim befand, geht es um eine gewisse „Tutschinskaja mit ihrem Sohn, die illegal aus Wilna kam, und die Deutschen erfuhren davon. Sie wurde festgenommen und erschossen und die Schwestern wurden der Begünstigung bezichtigt“ [1, S. 56].
Der Priester Michał Michniak erinnert sich in seinem Buch „Im Namen der Nächstenliebe. Dieser ist aus meiner Heimat“, dass er sich heimlich bei den Schwestern im Kloster in Slonim aufhielt und Zeuge der Hinrichtung der Juden aus dem Ghetto am 29. April 1942 wurde, als man sie durch die Stadt zum Berg Petralewitschskaja getrieben hatte: „Während der Erschießung konnte eine Gruppe der Juden flüchten. Sie fanden im Kloster der Niepokalanki in Slonim Zuflucht … dann schlossen sie sich teilweise einer Partisaneneinheit an. Im Kloster stellte man den versteckten Juden neue Taufurkunden aus“, nahm damit „Schuld“ vor den Besatzern auf sich und rettete Menschenleben [2, S. 6].
Die Schwestern wurden immer wieder gewarnt, dass sie sich vorsichtiger verhalten oder den Juden keine Hilfe (Begünstigung, ärztliche Behandlung, Ausstellung von Dokumenten) mehr leisten sollten, weil die Deutschen ihre Aktivitäten verfolgen würden. Trotzdem hörten sie nicht auf, weiterhin Barmherzigkeit in jener unmenschlichen Zeit zu üben.
Der Weg zum Berg Petralewitschskaja
Die Deutschen kamen in der Nacht, erinnert sich Schwester Anatolia Grondska, „sie wollten Schwester Marta holen, aber da trat Schwester Ewa aus der Zelle und die Deutschen fragten, wer sie sei. Als sie ihren Namen (Noiszewska) nannte, entgegneten sie sofort, sie würden auch sie suchen, sie hätten sie schon länger „im Visier“, weil sie Juden Rezepte für Medikamente ausgestellt habe“. In den Erinnerungen von Schwester Alma Sołtan, die 1991 aufgezeichnet wurden, findet sich eine Bestätigung dafür: „… es heißt, bei einem ermordeten Juden hätte man ein von ihr unterzeichnetes Rezept entdeckt.“ Das reichte für die Verhaftung. Es gibt auch Meinungen, dass die Schwestern angeblich wegen ihrer Kontakte zu den Partisanen denunziert wurden.
In ihren „Erinnerungen an Schwester Marta von Jesus“ erzählt Schwester Regina Ioczaitis von den letzten Minuten ihres Lebens: „Sie brachten die Schwestern in den Gefängnishof … Gegen 5 Uhr am nächsten Morgen kamen Lastwagen, um die Verurteilten wegzubringen …“ Die Lkws brachten die Menschen auf den Berg Petralewitschskaja, wo schon Gräben ausgehoben waren. Man ließ sie die Kleidung ausziehen und Wertsachen abgeben. Noch kurz vor der Hinrichtung schlug ein Polizist den Schwestern vor, ihnen zur Flucht zu verhelfen, aber sie gingen darauf nicht ein und blieben mit den Menschen zusammen, die dem Tod geweiht waren. Alle mussten sich in den Graben legen, die Köpfe eng aneinander gepresst, und es folgte ein Feuerstoß aus der Maschinenpistole. Die Schwestern aus der Gemeinschaft der Niepokalanki sind sich einig, dass in diesem „Massengrab einige Hunderte (rund 600) Menschen“ liegen würden.
Gedenken
Am 13. Juni 1999 wurde Schwester Marta als Märtyrerin des Zweiten Weltkrieges anerkannt. Die Erinnerung an die Schwestern lebt weiter in den Herzen der Bewohner von Slonim. Jedes Jahr gedenken die Mitglieder der katholischen Gemeinden aus Slonim dieser Frauen in ihren Gebeten. Auch an unserer Schule wird der Schwestern Ewa und Marta gedacht. Die Schüler und die Behörden der Stadt pflegen das Denkmal an der Stelle, wo sie begraben liegen. Wir, die wir heute auf Erden leben, müssen die Erinnerung an die Tragödie aufrechterhalten und an die nachfolgenden Generationen weitergeben, damit niemand die Schrecken des Krieges wieder erlebt.
Quellenverzeichnis
Kosyra-Cesliak, Hanna, Žertvuju Tebe vse et ovo imja ljubvi. Übsg. aus dem Poln. Grodno 2002.
Ks. Michał Michniak, W imię miłości bliźniego. Ten jest z ojczyzny mojej. Kraków 1969.
Pamjac'. Slonimski raёn. Minsk 2004.
S. Szczęsława od Dobrego Pasterza (Eleonora Tuska), Wspomnienie o S. Marcie Wołowskiej… Nowy Sącz [1965–1970].